Wohnraum - Bodenversiegelung - Ghettobildung
Herbst 2021
Wohnraum - Bodenversiegelung - Ghettobildung
Vergleicht man die Wohnsituation und den Wohnbau der letzten 100 Jahre, so lässt sich Erstaunliches festhalten:
In den 1920er Jahren, nach dem ersten Weltkrieg, war die Wohn- und Lebenssituation sehr angespannt. Es entstehen zahlreiche Privatinitiativen, die versuchen auf Grundstücken der Stadt mit Baumaterial, das zum Großteil vor Ort gewonnen wird, Wohnraum zu schaffen. Die Männer, meist invalide Kriegsheimkehrer errichten in Genossenschaften organisiert ihre eigenen Häuser, wobei diese in Teamarbeit gebaut und anschließend zugelost werden. Um Material zu sparen werden Reihenhäuser errichtet, die mit Garten und offenem Stall den Siedler die Möglichkeit zur Selbstversorgung bieten. Jede Parzelle umfasst etwa 400 m², genug Platz, um Obst und Gemüse anzubauen und Kleintiere aufzuziehen. Bebaut werden etwa 10% der Grundstücksfläche.
In den 1930er Jahren entstehen ähnliche Siedlungen jedoch überwiegen nun Doppelhäuser mit einem kleinen Stall als Zubau. Ziegel waren immer noch Mangelware, daher wird der Zubau und das Obergeschoß/Dachgeschoß mit den Schlafräumen meist in Holz ausgeführt. Die Grundstücksflächen für jede Familie beträgt etwa 1300-1500 m², wobei etwa 10% bebaut werden.
In den 1950er Jahren, kommt der Wiener Wohnbau in Schwung, die Gemeinde errichtet zahlreiche Reihenhaussiedlungen ähnlichen Stils, allerdings werden hier die Wohnungen in Stiegen organisiert, erstrecken sich nur auf einer Ebene und werden mit und ohne Garten angeboten. Die Erdgeschoßwohnungen haben einen direkten Gartenzugang, die zugehörigen Gärten der Wohnungen im ersten Stock liegen meist auf der anderen Seite des Hauses, gegenüber der Straße. Die Gartenflächen sind bereits mit Obstbäumen bestückt und mit einer kleinen gemauerten Gartenhütte ausgestattet. Die bebaute Fläche beträgt etwa 25% der Nutzgrundfläche von ~200 m² pro Familie.
In den 1970er Jahren werden die großen Plattenbau-Siedlungen Quadenstraße, Ziegelhofstraße, Großfeldsiedlung errichtet. Gesprochen wird von Gettobildung und viel zu vielen Menschen auf zu wenig Raum. Betrachtet man jedoch die Grundstücksfläche einer Bebauungszelle (ein Bereich von Straßenzügen umgeben), so ist nur 16% bebaut. Zwischen den Bauteilen entstehen große Grünbereiche und gegenüberliegende Bauteile haben einen Abstand größer als 40m. Jeder Familie steht quasi eine Freifläche von ca. 45 m² im frei zugänglichen Hof zur Verfügung.
Betrachtet man das Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern, ein Smart City Projekt der Stadt aus der Vogelperspektive, so lässt sich die Baudichte durchaus mit der Gestaltung der Bezirke entlang des Gürtels vergleichen. Die Bauplätze sind zu 60-100% durch Bauwerke besetzt, an Freiflächen im Innenhof bleiben pro Familie maximal 2 m², oft mit wenig natürlichem Boden.
Friedensreich Hundertwasser schreibt 1991: Wir müssen wieder Häuser bauen, wo die Natur über uns ist. Es ist unsere Pflicht, die Natur, die wir dadurch umbringen, daß wir ein Haus bauen, wieder auf das Dach zu bringen. Wir müssen der Natur Territorien zurückgeben, die wir ihr widerrechtlich genommen haben.
In diesem Sinne, sollte Natur auch zwischen den Häusern Platz finden. Erde, wo Wasser versickern kann, wo Samen keimen können und Blumen erblühen werden.
Medienbericht: Kronen Zeitung Wien vom 23.01.2022
Medienbericht: Kronen Zeitung Wien vom 23.1.2022